Türkei 1990

Diese Reise 1990 in die Türkei mit meiner damaligen Freundin Claudia, war die erste weitere Fahrt für mich.

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Mit der Fähre ging es von Ancona nach Igoumenitsa in Griechenland. Die Strecke von dort nach Osten ist ein Traum für Motorradfahrer, kurvig und landschaftlich ein Erlebnis. Nur die Städte auf dem Weg mit den endlosen Staus waren ein Graus. Das ist Geschichte, heute existiert eine perfekt ausgebaute Autobahn.

Die Einreiseprozedur in Ipsala ist schnell erledigt. Ein Stempel von der Polizei, ein weiterer vom Zoll, die grüne Versicherungskarte auf Gültigkeit geprüft, die BMW im Pass eingetragen und wir sind in der Türkei. Die Straße von der Grenze nach Istanbul ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten – eine Gerade. Auf einem Parkplatz stand ein Polizeiwagen. Ein Beamter machte deutlich, dass ich rechts ranfahren sollte.

„Passport!“ Ich gab ihm meinen Pass. „Thomas?“ Ich nickte. „Thomas, Radar!“ Mein Gesichtsausdruck dürfte nicht zu den intelligentesten gezählt haben. „Radar?“ „Radar! 120 Kilometer!“ Das war lächerlich. Motorräder dürfen in der Türkei 70 km/h fahren, das wusste ich. Wir fuhren wegen des starken Gegenwindes maximal 80 und jetzt kam diese Typ daher und erzählte etwas von 120. Klar, worauf das hinauslief. „Thomas, 70.000 Lira!“ Das waren so um die 20 Mark. Ich zögerte. Der „Ordnungshüter“ blickte noch mal in den Pass. „Aleman?“ Deutscher? „Ja“ „O.k. Thomas, 10 Mark“. Einigermaßen sauer drückte ich dem Ordnungshüter 10 DM in die Hand, steckte meinen Pass wieder ein und wir fuhren weiter.

Gegen Mittag erreichten wir die ersten Ausläufer von Istanbul. Der Verkehr wurde mit jedem Meter dichter. Auffallend waren die Kleinlaster, hoffnungslos überladen und genauso hoffnungslos untermotorisiert. Unglaubliche Rußwolken stießen diese Fahrzeuge aus, wenn sie sich mit 10 km/h die kleinste Steigung emporquälten. Die D100 war mehrspurig ausgebaut. Wie viele Spuren es waren, konnte niemand sagen. Rechts befand sich ein breites Schotterbankett, über die Straße führten in regelmäßigen Abschnitten Fußgängerbrücken. Jeweils bei den Brücken waren die Bushaltestellen für die kleinen Linienbusse, die in 2., 3. oder 4. Reihe hielten. Es herrscht das blanke Chaos.

Ich fuhr nur noch intuitiv, hupte bei jedem Überholvorgang, war nur damit beschäftigt den Kopf nach links und rechts zu werfen, damit ich sah, gegen wen ich fahren würde, wenn ich ausscheren müsste. Die Krönung des ganzen war dann eine Herde Schafe, die am Straßenrand ihr Dasein fristete. Wir fuhren rechts ran, um kurz zu verschnaufen. In dem Moment startete ein Jumbojet vom nebenan liegenden Atatürk Airport direkt über unseren Köpfen. Navi oder GPS gab’s nicht. Mit angepasster Fahrweise, das heißt so rücksichtslos, wie möglich, fuhren wir über die (alte) Galatabrücke nach Asien. Als wir in Izmit nach Süden abbogen, waren wir mit einem Mal alleine. Traumhafte kurvige Straßen schlängeln sich über leichte Hügel, durch Kiefernwälder und Felder.

Die kommenden Tage standen ganz im Zeichen der Kultur. Pergamon, Troja und Ephesus. Trotz Lateinschüler und bewandert in der Geschichte Kleinasiens muss ich zu meiner Schande gestehen, dass mich Trümmerfelder einfach nicht begeistern können. Entlang der Türkischen Riviera ging es nun in Richtung Osten. Auf der Suche nach einem schönen Hotel, in dem wir ein paar Tage Strandurlaub machen wollten, passierten wir Bodrum, Patara und Antalya. Kurz vor Alanya fanden wir eine kleine Pension direkt am Meer. Einige Tage verbrachten wir dort, dann brachen wir auf zum östlichsten Punkt unserer Reise, Anamur. Anamur Kalesi ist die größte und best erhaltene Kreuzritterburg der Türkei.

Ab jetzt ging es zurück nach Westen. Der Weg sollte uns über die Höhen Zentralanatoliens über Beysehir, Eskisehir und nochmals Istanbul nach Edirne führen, hinein nach Bulgarien. Anatolien ist eintönig, man muss es mögen, das „Nichts“. Ich bin begeistert davon, könnte ewig über die leeren Straßen rollen und auf die Berge links und rechts von mir blicken, die schon über 2000 Meter aufragen. Auf der Landkarte im Maßstab 1 : 800.000 versuchte ich irgendwie die Ortsnamen mit den Wegweisern abzugleichen. Irgendwann landeten wir auf einer Schotterpiste und es begann auch noch zu regnen.

In unserem Pass befand sich ein Transitvisum für Bulgarien. Der Rückweg war über den Autoput über Sofia und durch Jugoslawien geplant. 1990 war der erste Golfkrieg. Der Irak wurde mit einem Embargo belegt und konnte daher kein Öl exportieren. Bulgarien bezog sein Öl aus dem Irak. Da man in Bulgarien aber nicht einfach zu einer Tankstelle fahren konnte und dort bar zahlen, sondern mindestens 50 Liter in Benzingutscheinen kaufen musste, fuhren wir mit einem fast leeren Tank über die Grenze, um unmittelbar danach zu tanken und nochmals, wenn wir das Land verlassen.

Eine unglaublich grimmig blickende Staatsdienerin saß in einem alten Container, in dem man diese Benzingutscheine gegen Devisen erhielt. „Nix Benzin“ waren ihre einzigen Worte. Wir gestikulierten herum, machten deutlich, dass wir tanken müssen. Die Antwort: „Benzin Sofia – perhaps“. Nach Sofia sind es 350 Kilometer, wir hatten noch Sprit für 20 oder 30. Was tun? Eine Möglichkeit war, zurück in die Türkei, voll tanken, einen Kanister kaufen und dann durch Bulgarien. Dummer Weise war unser Visum aber gültig für eine Einreise und eine Ausreise. Das heißt, wenn wir Bulgarien in Edirne wieder verlassen, war das Visum danach ungültig. Eine sinnvollere Alternative, als doch wieder Fähre von Igoumenitsa zu wählen, viel uns nicht ein. Kurz nachdem wir in Bulgarien eingereist waren, reisten wir an der gleichen Grenze also wieder aus und das war es dann.

Eine Situation wie in einem Loriot-Film erlebte ich in Catolia, noch im Süden Italiens, als ich in einer Bank Geld wechseln wollte. Der Schalterraum war vom Vorraum der Bank durch eine Drehtür getrennt. Diese war gesichert mit einem Metalldetektor. Hatte man Metall an sich, blieb der Zugang zum Schalterraum verschlossen. Nun hat man als Motorradfahrer aber sehr viel Metall an sich. Nachdem ich mich als letzten Schritt nur noch hätte nackt ausziehen müssen, um durch diese Drehtüre zu gelangen, gab ich auf.

Anders, als heute, wo man noch im kambodschanischen Dschungel mit einer deutschen Maestro Karte an einem Automaten Geld abheben kann, gab es 1990 nur die Möglichkeit, Bares zu tauschen. Ein Hotelbesitzer hatte schließlich Mitleid. In der Zeitung suchten wir nach dem richtigen Wechselkurs und kurze Zeit später hatte ich endlich die notwendigen Lira für die nächste Tankfüllung in den Händen.

Es war schon Dunkel als wir um halb 10 Uhr abends frierend zu Hause eintrafen. Das Motorrad ließen wir stehen, wie es war und gingen erst einmal etwas Essen, ironischer Weise zum „Italiener“. Wir lachten über die Ereignisse der letzten Tage und blickten sehnsüchtig zurück auf unsere Zeit an der türkischen Riviera, die Hochebenen Anatoliens und die vielen freundlichen Menschen, die wir auf unserer Reise getroffen hatten. Zumindest für mich stand damals schon fest, dass das nicht meine letzte Reise in die Türkei sein sollte.

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