Nordkap 1992

Es ist August und über Deutschland liegt seit Wochen ein Hochdruckgebiet. Als ich mich am 2. August 1992 um ein Uhr in der Früh auf den Weg nach Norden mache, habe ich unter meiner Lederjacke nur ein T-Shirt. Die Fahrt auf der Autobahn nach Norden ist so unterhaltsam wie das Testbild im Fernsehen. An der Dänischen Grenze will ich mich mittags mit Oliver treffen. Einen hervorragenden Zeltplatz finden wir und folgen dem „Jedermannsrecht“. Der Abend ist mild, die Mücken fliegen in Formation und wir genießen die Ruhe, bis es um sieben anfängt zu regnen. Und dieser Regen sollte uns die nächsten drei Wochen erhalten bleiben.

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Landschaftliche Highlights, wie das Sognefjell mit 1500 Metern Höhe wechseln sich ab mit kulturellen wie der Stabkirche von Borgund. Nur noch 14 Kilometer sind es nach Trondheim, Norwegens drittgrößter Stadt. Hier befindet sich der Nidarosdom, Norwegens geistiges Zentrum und direkt daneben der Palast des Erzbischofs. Was immer wieder beeindruckend ist, sind die Entfernungen in Skandinavien. Als wir Trondheim verlassen, steht dort am Ortsausgang das übliche Schild, die eine Stadt durchgestrichen, die nächste mit Entfernungsangabe darunter: Narvik – 700 km.

Einen der schönsten Plätze zum Übernachten finden wir heute. Die Straße folgt einem Fluss durch ein wunderschönes Tal. Links und rechts an den Hängen befindet sich Mischwald in seinen schönsten Farben. Am Ufer des Flusses stehen in regelmäßigen Abständen keine Unterstände, im Inneren Holzbänke und eine Feuerstelle. Sogar Feuerholz liegt fix und fertig geschlagen daneben. Kurz hinter Mo I Rana ist das erste Ziel erreicht – der Polarkreis auf 66°34′ nördlicher sowie südlicher Breite. Dies sind die Breitenkreise, auf denen die Sonne an den Tagen der Sonnenwende gerade nicht mehr untergeht bzw. nicht mehr aufgeht.

Beim Tanken entdecken wir ein Schild, das für heute ein Motorradtreffen des „Fauske MC“ hier in der Nähe anzeigt und schon bald befinden wir uns an einem Flussufer auf einer Wiese, wo uns ein paar norwegische Biker mit Kutten entsprechend einweisen. Der Konsum von Bier auf derlei Zusammenkünften ist in der Regel durchaus beachtlich. Mich interessiert, wie die Norweger das bei diesen Preisen wohl handhaben werden. Es ist erst Nachmittag und mir steht der Geschmack eher auf einen heißen Kaffee, so mache ich mich auf zur Theke im Festzelt. Und dabei wird mir auch sofort die Lösung für das „Alkoholproblem“ geliefert. In großen Kanistern befindet sich selbst gebrannter Schnaps, der in das einzig bezahlbare Getränk – Kaffee – geschüttet wird.

Nach 10 Tagen haben wir es erreicht, das Nordkap. So schlecht das Wetter auch bisher gewesen sein mag, so viel Glück haben wir jetzt. Häufig ist das Kap vollständig in Nebel gehüllt, heute nicht. Wir haben klare Sicht auf das Nordmeer vor uns, wandern auf eine vorgelagerte Spitze seitlich des Nordkaps und machen von dort einige Fotos vom Kap selbst.

Den Rückweg treten wir über Finnland an, das Land der 100.000 Seen. Das können wir bestätigen. Wald – See – Wald – See – Wald… und es schüttet aus Eimern. Das Wasser links und rechts der Straße reicht fast bis auf die Fahrbahn. Gegen Mittag reißt es endlich auf, es wird wärmer und endlich können wir diese wunderschöne Natur auch genießen. Zwei Tage sind wir unterwegs nach Helsinki, schlafen einmal mehr in einer Scheune und einem Unterstand an einem See.

Von Helsinki nehmen wir die Fähre hinüber nach Stockholm und besuchen das Vasa Museum. 1956 fand ein Wrackforscher – Anders Franzen – ein zu 95% erhaltenes Holzschiff aus dem 17. Jahrhundert. Die 1628 erbaute Vasa. Der Fund ist deswegen so beeindruckend, da Holzschiffe im Salzwasser vom Schiffsbohrwurm regelrecht aufgefressen werden. Dieser lebt aber nicht im Brackwasser der Ostsee.

Ein letztes Mal suchen wir in Dänemark einen wilden Zeltplatz. Am kommenden Morgen mache ich mich auf den direkten Heimweg nach München. Oliver hat noch ein paar Tage Urlaub und möchte sich eher gemütlich nach Süddeutschland treiben lassen. Knapp 1400 Autobahn-Kilometer später passiere ich nachts um halb zwölf den Stadtrand von München. Zu Hause hebe ich nur noch die BMW auf den Hauptständer und falle ins Bett.

Als ich am kommenden Tag dann das ganze Gepäck abbaue, das Zelt, Schlafsack und den Rest der Ausrüstung zum Lüften aufhänge, „juckt“ es aber schon wieder. Doch wenn man gerade vom nördlichsten Punkt des europäischen Festlandes kommt, was für einen Reiz hat dann eine kleine Spritztour?

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