Eine Reise in die Vergangenheit. 16 Jahre zuvor war ich schon einmal in Syrien. Fast jede Kreuzritterburg hatten wir damals besichtigt, mit einer Ausnahme, dem Crac des Chevalier. Das sollte mein 2009 Ziel sein.

Die Route führte mich über Österreich, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und die Türkei nach Syrien. Zurück wollte ich von der Türkei aus durch Griechenland, Mazedonien, Albanien, Montenegro und die kroatische Küste hinauf durch Slowenien und Österreich wieder ins heimische Oberbayern.
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Am frühen Nachmittag erreiche ich Budapest. Die „Must sees“ wurden im Stil Japanischer Reisegruppen im Zeitraffer besucht. Die Landschaft ändert sich kurz hinter der rumänischen Grenze. Das siebenbürgische Sibiu – Hermannstadt – erreiche ich am Nachmittag und einen Tag später die Kirchenburg Biertan – Birthälm. Als Schutz gegen feindliche Angriffe, befestigten die Rumänen ihre Kirchen bis hin zu wahrhaften Burgen. Ein weiteres Weltkulturerbe liegt nur wenige Kilometer entfernt, Sighisoara – Schäßburg.
An der Bulgarischen Grenzstation in Silistra fahre ich beinahe vorbei. Durch Zufall sehe ich zwei Uniformierte vor einem Haus Kaffee trinken und frage die beiden. „Ja, ja, hier Grenze, da hinten Bulgarien“. Beim türkischen Zoll sind dann grad alle beim Mittagessen. Also mache auch ich erst mal bei der Zollabfertigung Brotzeit. Mit vollem Mund halte ich dem herankommenden Beamten meinen Pass hin. Der drückt den letzten Stempel hinein und über eine nagelneue Straße rolle ich bergab in Richtung Istanbul.

Ende der 80er Jahre bin ich mit meiner alten R 80 G/S diese Straße gefahren. Seither habe ich Bilder von Ruß speienden LKWs vor mir, von tausenden Minibussen, die am Straßenrand Wartende auflesen, Bilder von Ziegen, die am Seitenstreifen grasen und direkt darüber ein soeben vom Atatürk Airport startender Jumbojet. Dazwischen ich Wurm mit meiner vollgepackten Maschine, schwitzend bei 30 Grad. Einiges hat sich geändert. In der Mitte befindet sich eine Fahrbahn für Metro-Busse. Die Minibusse haben ebenfalls eine eigene Fahrspur. Die Ziegen gibt’s nicht mehr.
Zentral Anatolien ist landschaftlich ein Traum. Karge Landschaft mit sanften, weiten Hügeln, Gebirge mit bis zu 3.000 Metern hohen Gipfeln und Kiefernwälder wie in der Provence. Wieder pünktlich zur Mittagszeit erreiche ich den syrischen Schlagbaum. Im Zollgebäude stehen 30 Leute, wild gestikulierend vor einem Schalter, hinter dem drei Uniformierte interessiert in Bildschirme blicken. Man wirft mir ein Blatt hin, das ich ausfüllen soll – komplett in arabisch. Einer faucht: „Name, Surname, Father’s Name“. Ich fange also an zu schreiben. In der zweiten Zeile angelangt greift sich ein neben mir stehender Syrer den Zettel und dreht ihn um 180 Grad. Mit Fingern auf die einzelnen Schriftzeichen deutend sagt er mir in Englisch, wo ich welche Angabe zu machen habe.

Der Plan, irgendwo abseits der Straße wild zu zelten, verfestigt sich mehr und mehr. Was mir allerdings noch fehlt ist Brot zum Abendessen. An einer Konditorei halte ich und frage nach Brot – khubbz. Man verneint und bietet mir stattdessen Kuchen an. Als ich ablehne, schütteln alle nur freundlich den Kopf, und halten mir ein Stück zum Probieren hin. Zum Schluss kommt auch noch jemand angerannt, der mir zwei Fladenbrote in die Hand drückt. Ich falte sie zusammen, wie eine Zeitung und verstaue sie in meinem Koffer. Zahlen? Was für ein Ansinnen!
Das Ziel meiner Reise erreiche ich am nächsten Tag, die am besten erhalten Burganlage des Mittelalters, den Crac des Chevaliers oder Qalat al Hosn. Vor den Mauern des Crac stehend fühle fast so etwas, wie Wehmut. Über 4000 km bin ich jetzt unterwegs und am Ziel meiner Reise. Fast um mich abzulenken, fotografiere ich die Mauern der wahrhaft imposanten Anlage aus allen Winkeln.

Die Sonne steht fast senkrecht, als ich den Anlasser betätige. Es ist nicht mehr weit zu meiner nächsten Station – Palmyra. Die Ruinenstadt erreiche ich am späten Nachmittag. Im Licht der untergehenden Sonne wandere ich durch die Säulenalleen, fahre hinauf zur Zitadelle und in das Tal der Gräber.
Ein Ort fehlt noch zur Vergangenheitsbewältigung, das südliche Jagdschloss inmitten der syrischen Wüste, Qasr al Hair ash Sharqi. Stand ich1993 noch mit einem Kompass auf einem Hügel, um am vermeintlichen Pisteneinstieg die Richtung zu überprüfen, führt heute eine asphaltierte Straße fast bis zu den beiden gewaltigen Rundtürmen. Die Strecke nach Norden in Richtung Ar Raqqah ist heute ebenfalls durchgängig asphaltiert. Auf einer Anhöhe halte ich, schalte den Motor aus und genieße in vollen Zügen die Wüste. Was für eine Weite! Die Straße schlängelt sich in leichten Kurven über sanfte Hügel. Kein Geräusch stört das unendliche Lied des Windes, der über die Ebenen weht. Ich trinke einen Schluck Wasser und sehe in die Ferne. Das ist es, was ich gesucht habe.
In Hammam, einem winzigen Ort an der Auffahrt zur Hauptstraße nach Aleppo, halte ich, um im dortigen Postamt Briefmarken für die obligatorischen Urlaubskarten zu erstehen. Wieder im Freien und guten Mutes, heute in Aleppo zu nächtigen, drücke ich auf den Anlasser und es geschieht – NICHTS. Vermutlich hat sich ein Kabel von der Batterie ab vibriert. Also Gepäckrollen runter, Sitzbank ebenfalls und nachgesehen. Die Kabel sind fest. Also die Kabel vom Zündschloss: Auch nicht. Sicherungen: Alle ok, langsam wird mir unwohl. Ein Wackelkontakt. Ich zerre am Kabelbaum. Das halbe Motorrad zerlege ich und finde nichts. Schließlich drücke ich nochmal auf den Anlasser … und die Kiste läuft. 50 Meter weiter befindet sich eine Tankstelle. Ich halte an, schalte den Motor aus und wieder tut sich nichts, nachdem ich den Zündschlüssel drehe.

Es ist Ramadan, es ist kurz vor 17:00 Uhr und ich befinde mich an einer Tankstelle am Rande der syrischen Wüste. Seit dem Morgen habe ich nichts gegessen und ich habe keine Ahnung, wo der Fehler sein könnte. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit bietet man mir an, dass ich in der Tankstelle schlafen kann. Man ist unglaublich nett zu mir und zeigt mir mein Quartier, einen Raum in der Tankstelle, sauber und mit einer Matte auf dem Boden. Kaum ist die Sonne untergegangen, wird aufgetischt. Ich bin eingeladen und meine beiden Gastgeber Abdulla und Adnan bieten mir Humus, Salat, Nudelsuppe, Quark und Brot an. Sogar einen Kaftan bekomme ich zur Verfügung gestellt. Beide sprechen kein Englisch und ich habe nur eine kopierte Seite aus dem Reiseführer mit allgemeinen Floskeln. Für die Länge einer Wasserpfeife nach dem Essen reicht aber der Gesprächsstoff und ich schlafe auf dem Boden, wie ein Murmeltier.
Die Realität holt mich am kommenden Morgen ein. Nach einer weiteren Stunde Fehlersuche trete ich aus einer Laune heraus auf den Kickstarter – und die Kiste läuft! Es funktioniert nichts, kein Licht, kein Blinker, keine Hupe aber sie läuft und die Ladekontrollleuchte bleibt aus. Nachdem ich sowieso keine fremde Hilfe erwarten kann, gehe ich das Risiko ein, weiter zu fahren. Nach zwei Stunden Fahrt bin ich mir sicher, der Generator lädt, die Batterie ist ok.
Vor dem Zollgebäude auf syrischer Seite sitzen die Beamten ins Gespräch vertieft. Ob ich auch einen Tee möchte? Ich schaue dumm, überlege kurz – ja, eigentlich schon. Man kehrt zurück mit einem Glas Tee für den Aleman. Nach 15 Minuten ist mit den Dokumenten alles erledigt, ich trete die BMW an und holpere über Bahngleise hinein in die Türkei.
Vom BMW-Auslandsdienst erhielt ich einen Hinweis auf eine BMW Motorradwerkstatt zwischen Adana und Mersin, also in relativer Nähe. Den Fehler gefunden hat man jedoch auch dort nicht.

Unmittelbar hinter der Grenze nach Griechenland beginnt die perfekte, neu gebaute Autobahn, die mich zügig in Richtung Mazedonien bringt und knapp zwei Stunden später bin ich bereits in Albanien. Hunderte von Erdbunkern erwarten mich nur wenige Meter hinter dem Schlagbaum. Unmittelbar hinter Elbasan steigt die Straße in zahlreichen Kehren steil an. Es eröffnen sich traumhafte Ausblicke auf die Ebene und die dahinter liegenden Gebirgszüge.
Tirana ist ein Graus. Die Stadtverwaltung hat einige Betonblocks bunt streichen lassen, damit das Stadtbild etwas freundlicher wirkt. Ohne mich groß zu verfahren lande ich kurze Zeit später auf der Straße nach Shkoder. Nicht weit ist es von hier zur montenegrinischen Grenze und mit der Grenze zu Kroatien erreiche ich endgültig die EU.
Das Wetter ist traumhaft. Die Sonne gibt Anfang September ihr Bestes. Links neben mir ragt der Watzmann majestätisch in den tief blauen Himmel. Gestern, so scheint es mir, bin ich auf dieser Strecke in die andere Richtung gefahren, far, far away von Slade in den Wind brüllend, mit dem Ziel, eine alte Burg in Syrien zu besichtigen. An mir vorbei rasen zwei Biker mit nur einer kleinen Tasche auf dem Rücksitz. Ich habe die Füße auf den Sturzbügeln abgelegt und lehne entspannt am Packsack hinter mir. Noch zwei Ausfahrten, noch eine, dann geht es runter von der A8. Ein paar Kilometer Landstraße und ich bin zu Hause. Im Sitzen klappe ich den Seitenständer nach vorne, drehe den Zündschlüssel nach links und das Bollern des Motors erstirbt.
Das Telefonat mit meinem Haus- und Hof Mechaniker Herbert Wimmer ergab später: Kurzschluss im Anlasser Magnetschalter. Aus einem alten Anlasser, den ich noch in der Garage hatte, baute ich den Schalter aus und tauschte ihn. Erst 2023, vor >>meiner Fahrt in den Himalaya habe ich in einen komplett neuen Anlasser investiert.
