Marokko 1993

Das Visier ist absolut dicht. Ich sehe nichts. Es schneit wie im tiefsten Winter an diesem 17. April 1993. Zwei Wochen Resturlaub aus dem Vorjahr müssen genommen werden. Was bleibt also anderes übrig, als Nordafrika. Marokko ist ein Land, das ohne akribische Vorbereitungen einfach und schnell zu bereisen ist. “Schnell” in Sinne von Planung und daher fällt meine Wahl darauf.

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Jetzt stehe ich aber hier in Reutte und kann auf der Fernpassroute unmöglich weiter, also Brenner und nachmittags schlürfe ich bereits Espresso in der Sonne auf der Höhe von Turin. Diese und auch die kommende Nacht suche ich mir einen Platz zum wild Zelten.

Am Morgen des vierten Tages stehe ich am Ticketschalter der Transmediterranea Lines, die mich mit einem wasserdichten Schiff auf den anderen Kontinent bringen soll.
Melilla erreichet der Dampfer am frühen Nachmittag. Die Stadt ist noch Spanisch, was das Ausschiffen deutlich beschleunigt. Auf der Suche nach dem Campingplatz halte ich bei einer Gruppe anderer Motorradfahrer und wir kommen ins Gespräch. Sie sind auf dem Rückweg und nehmen das Schiff, mit dem ich gerade gekommen bin. Einer, Robert, fragt mich welche Route ich geplant hatte und entschließt sich kurzerhand mich zu begleiten. Er hat noch zwei Wochen Urlaub und die Strecke an der Algerischen Grenze hinunter, die ich gerne nehmen möchte, sind sie nicht gefahren.

Am nächsten Morgen beginnt für uns die Einreiseprozedur nach Marokko. Ein Witz ist die Landkartenkontrolle. Die Marokkaner gestatten keine Einfuhr oder Verwendung von Landkarten, auf denen eine Grenze zur Westsahara eingezeichnet ist. Glücklicher Weise entspricht die Michelin-Karte Nummer 969 den strengen Auflagen.

In Oujda tanken wir noch einmal voll, setzen uns zu einem Kaffee und starten dann in Richtung Wüste. War es im Gebirge bereits diesig und clam, so ist es nun richtig ungemütlich. Wind kommt auf, der sich zu einem Sturm entwickelt. 50 Kilometer weiter wird der Tag zur Nacht. Sturmböen treiben den Sand quer über die Straße, die Sichtweite sinkt auf wenige Meter. Zusätzlich beginnt es nun auch noch zu regnen und wir sind froh, am späten Nachmittag Ain Benimathar zu erreichen. Tatsächlich existiert hier ein Hotel. Vorne an der „Hauptstraße“ befindet sich das Restaurant, in dem die gesamte Dorfjugend auf einem unglaublich alten Tisch Billard spielt. Dahinter ein Hof, umgeben von Mauern, Zimmern und Verschlägen, den man durch ein riesiges Tor betritt. Der Blick in unser Zimmer ist dann aber doch ernüchternd. Ein Bett, 10 cm über dem Boden, eine zusätzliche Matratze auf der gegenüberliegenden Seite, eine nackte Glühbirne von der Decke baumelnd, das ist alles.

Am kommenden Morgen erwartet uns ein strahlend blauer Himmel. Wir können es kaum erwarten, die Motorräder zu starten und fahren weiter die P19 nach Süden. Wir sind gut voran gekommen und beschließen, noch ein paar Kilometer weiter nach Osten, an den Erg Chebbi zu fahren. Die Strecke selbst ist nicht lang, vielleicht 20 km, weist jedoch einige Tiefsandfelder auf. Direkt an den Dünen des Erg befindet sich ein Restaurant, auf dessen Dach wir unsere Schlafsäcke ausbreiten können. Die letzten Pauschalurlauber klettern vom Rücken ihre Kamele und besteigen die Busse in die Hotels – die Wüste gehört uns.
Zagora liegt auf der anderen Seite einer großen Ebene, am Ende des Draa-Tals. Will man nicht einen Umweg von mehreren hundert Kilometern machen, muss man über diese Ebene. Nach Auskunft unseres Wirtes, ist die Piste in gutem Zustand. Nach 2/3 des Weges erreichen wir Tazzarine.

Die Piste von Tazzarine nach Nekob ist extrem staubig und gespickt mit großen Steinen. Der Wind hat wieder aufgefrischt und weht den Sand quer vor uns über die Strecke. Das erleichtert die Fahrerei nicht unbedingt und prompt stürzt Robert, als er nichts sehend gegen einen Stein fährt. Glücklicher Weise bleibt ihm lediglich eine kleine Prellung. Am Nachmittag erreichen wir die Hauptstrasse in das Draa Tal und schlagen unser Zelt auf dem Campingplatz in Zagora auf. Die Hauptsehenswürdigkeit ist wohl das große Schild am Ortsausgang mit einem Pfeil in Richtung Wüste. Darunter: „52 Tage nach Timbuktu“.

Einen strammen Fahrtag haben wir vor uns, passieren vor Midelt einen Streckenabschnitt mit „Wintersperre“ und biegen rechts ab auf die S329 hinauf nach Guercif. es erst April ist merkt man eben auch in Marokko. Wieder hüllt uns ein Sandsturm ein und macht die Fahrt zur Qual. In Schräglage, ohne vernünftige Sicht, das Augenmerk nur auf die Strecke gerichtet kämpfen wir uns voran.

Etwas Zeit hätten wir noch, beschließen jedoch wegen des sich stetig verschlechternden Wetters bereits morgen das Schiff von Melilla zu nehmen. Der Sturm hält auch auf der Überfahrt an und ich befürchte, das erste Mal in meinem Leben seekrank zu werden. Anders als auf der Hinfahrt, sind wir nun bei Nacht unterwegs und rollen unsere Schlafsäcke außen auf Deck aus. Robert schläft schon, als ich noch lange zurückblicke nach Afrika. Viel zu kurz war die Zeit, die ganzen Eindrücke dort zu verarbeiten. Immer wieder kommen mir einzelne Begebenheiten in den Sinn und das Bild der Wüste mit ihren Dünen, wie wir sie von unserem Restaurantdach am Erg Chebbi sehen durften.

Ich bin dankbar, das alles erleben zu dürfen und weiß eines genau: Solange ich meine Knochen über den Sattel eines Motorrads schwingen kann, möchte ich reisen. Durch Steppen und Wüsten, Weite erleben, den Fahrtwind im Gesicht spüren und neugierig sein, was der nächste Tag mir bringen wird.

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